Bernd Kasparek: Frontex – Zur Militarisierung der europäischen Migrationspolitik

18. März 2008

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam am 1. Mai 1999 wurden Kompetenzen zur Bekämpfung irregulärer Migration an die Europäische Union übertragen. Die Zielsetzung der Europäischen Kommission ist hierbei ein so genanntes „Integrated Management of the External Borders”, also ein Regieren der Grenze aus einem Guss. Zentrales Instrument der Europäischen Union dafür ist Frontex. In dieser Studie soll daher die Struktur, Arbeit und Zukunft von Frontex beschrieben werden…

Frontex existiert nun seit drei Jahren, wobei die ersten zwei Jahren sicherlich eher mit dem Aufbau der eigenen Infrastruktur verbracht und nur zögerlich erste Projekte umgesetzt wurden. Aber schon 2007 hatten die Aktivitäten von Frontex einen recht hohes Niveau erreicht. Das Jahr 2008 wird nun das Jahr der Evaluation sein, die Aktivitäten von Frontex werden natürlich parallel weiterlaufen. Am 13. Februar hat die EU-Kommission schon eine erste kleine Evaluation der Agentur Frontex und ihrer Tätigkeiten vorgelegt, eine weitere ausführliche soll folgen und sogar durch eine weitere, externe ergänzt werden. Es scheint also Evaluationsbedarf zu herrschen.

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Andreas Seifert: Testfall China – Die chinesisch-europäischen Beziehungen auf dem Prüfstand

11. März 2008

„China is the single greatest test of Europe’s capacity to make globalisation an opportunity for jobs and growth. China faces huge challenges in addressing pressing social, environmental and economic issues. Europe must get China right, as an opportunity, a challenge and prospective partner.”

Die hier vorgelegte Studie nimmt das Verhältnis Chinas zur Europäischen Union in den Fokus der Betrachtung. Grundfrage ist, wie der „größte einzelne Test“ für Europa beschaffen ist und welche Formen das Verhältnis angenommen hat. Mit Bezug zu den sicherheitspolitischen Implikationen wird die Art und Weise diskutiert, wie das Verhältnis von beiden Seiten gestaltet wird.

Eingangs werden einige Bedingungen auf chinesischer Seite thematisiert und ein kleiner historischer Überblick gegeben, um dann ausführlich anhand relevanter Grundsatzpapiere die Sichtweise Chinas auf Europa und Europas auf China zu verdeutlichen. Schließlich werden einzelne Themenbereiche isoliert und detaillierter diskutiert, die über ein Konfliktpotential im beiderseitigen Verhältnis verfügen. Diese leiten zu einem abschließenden Fazit hin das auf der Grundlage der vorliegenden Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass das Verhältnis weitgehend von wirtschaftspolitischen Themen dominiert wird und Konflikte, wie auch Widersprüche zu eigenen Ansprüchen ausgeblendet werden.

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Malte Lühmann: Aus dem All in alle Welt – Weltraumpolitik für die Militärmacht Europa

27. Februar 2008

Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise hat anscheinend Einzug in die Ideenwelt europäischer Rüstungslobbyisten gehalten. So musste eines seiner Zitate aus der Science-Fiction Serie „Star Trek“ als Einleitung für einen Konferenzbericht der EU-Lobbyorganisation „New Defence Agenda“ herhalten. Die Konferenz mit dem Titel „Space and Security in Europe“, die 2003 in Brüssel abgehalten wurde, steht beispielhaft für das Drängen der europäischen Sicherheits-Community in den Weltraum. Das Interesse für Star Trek scheint nachvollziehbar, schickt man sich doch an, die letzte Grenze im Weltraum zu überwinden, wenn auch nicht ganz im Sinne der Science-Fiction-Vorlage. Denn die Grenzen, die es für die EU zu überwinden gilt, sind profaner Natur. Sie bestehen etwa in der gerne bemängelten Mittelknappheit der europäischen Raumfahrt und der Rüstungsministerien, nationalen Meinungsverschiedenheiten, in der Skepsis der Öffentlichkeit gegenüber einer Aufrüstung im All und den Schranken, die das internationale Recht solchen Bestrebungen setzt.

Dabei blickt die Militarisierung des Alls auf eine lange Vorgeschichte zurück, doch im 21. Jahrhundert will die EU nicht mehr außen vor bleiben. Die Bedeutung des Weltraums für die Politik begann allgemein mit der Entwicklung der Raketentechnologie seit dem Zweiten Weltkrieg rapide zu wachsen. Interkontinentalraketen und frühe Überwachungssatelliten zur Erkundung und Überwachung ihrer Abschussstandorte stehen für die ersten Vorstöße der Streitkräfte sowohl des Warschauer Paktes als auch der NATO in diese Dimension. Heutzutage ist es der Wandel der Kriegsführung unter dem Stichwort „Revolution in Military Affairs“ (RMA), der die breit angelegte Integration von Weltraumtechnologie in Kommandozentralen und auf dem Schlachtfeld beinhaltet und damit als Impulsgeber zur weiteren Militarisierung des Alls beiträgt.

Gleichzeitig bietet der Weltraum, unter Anderem, weil national abgegrenzte Hoheitsgebiete im grenzenlosen Raum kaum zu verwirklichen sind, ein Feld, das eigentlich für internationale Kooperation prädestiniert zu sein scheint. Diese, der militärischen Konfrontation entgegen wirkende Tendenz drückt sich etwa im UNWeltraumvertrag von 1967 oder in der Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland im Rahmen des Shuttle-Mir-Programms aus, das Anfang der 90er Jahre durchgeführt wurde. Bei der Weltraumpolitik handelt es sich also um ein Politikfeld, das dank seines großen Potenzials für grenzüberschreitende Anstrengungen aktiv zur Förderung des Friedens genutzt werden könnte.

Gerade in jüngster Zeit verstärkt sich aber wieder eine Entwicklung, die in die entgegengesetzte Richtung weist. So unterschrieb US-Präsident George W. Bush im Jahr 2006 ein Papier, das den Dominanzanspruch der USA im Weltraum und ihre Weigerung sich internationalen Regulierungen zu beugen, die ihre Handlungsfreiheit auf diesem Gebiet einschränken könnten, zur offiziellen Doktrin erhebt. Aus der Sicht amerikanischer Militärstrategen ist der Weltraum ein Teil des Schlachtfelds der Zukunft, den es zu beherrschen gilt. Andere Staaten, wie etwa die VR China oder Indien, legen derweil nach und entwickeln Technologien und Doktrinen, die es ihnen ermöglichen sollen, eigene Interessen gegen die Dominanz der USA durchzusetzen. Nachhaltig rückte der erfolgreiche Test einer chinesischen Antisatellitenrakete (ASAT) im Januar 2007, bei dem ein ausgedienter Wettersatellit abgeschossen wurde, diese Entwicklung ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Obwohl dies nicht der erste Test derartiger Weltraumwaffen war, zumindest die USA und wahrscheinlich Russland verfügen über ähnliche Weltraumwaffen, wurde hier die Gefahr eines Wettrüstens im All besonders deutlich. Auch die Europäische Union reagierte auf diesen Test mit einer Protesterklärung, in der sie ihn als Gefahr für die Sicherheit im Weltraum und für internationale Bemühungen ein Wettrüsten im All zu verhindern bezeichnet.

Sie bekräftigte in diesem Zusammenhang ihre Haltung, wonach die „Erforschung und Nutzung des Weltraums […] lediglich friedlichen Zwecken zu dienen und zum Nutzen und im Interesse aller Länder zu erfolgen hat.“ Während im internationalen Umfeld also durchaus die Gefahr eines Wettrüstens bzw. einer Auseinandersetzung im All besteht, betreibt die EU dennoch Anstrengungen, um die eigenen militärischen Fähigkeiten im Weltraum zu erweitern.

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Jürgen Wagner: EUropas erste Kolonie. Der Ahtisaari-Bericht zur Kosovo-Statusfrage und der völkerrechtliche Amoklauf der „internationalen Gemeinschaft“

6. Dezember 2007

In den letzten Jahren hat sich eine grundlegend neue Qualität westlicher Kriegspolitik herauskristallisiert. Denn inzwischen werden renitente Staaten nicht mehr nur per Strafaktion militärisch gemaßregelt, sondern darüber hinaus im Rahmen anschließender Besatzungsregime deren Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung tief greifend entlang westlicher Interessen re-strukturiert. Gerade der Kosovo ist in vielerlei Hinsicht das Pilotprojekt dieses Neoliberalen Kolonialismus, der mittlerweile auch in anderen Ländern durchexerziert wird. „Protektorate sind in“, erläutert Carlo Masala vom NATO Defense College. „Von Bosnien über Kosovo, nach Afghanistan bis in den Irak, das Muster westlicher Interventionspolitik ist immer dasselbe. Nach erfolgreicher militärischer Intervention werden die ‚eroberten‘ Gebiete in Protektorate umgewandelt und die westliche Staatengemeinschaft ist darum bemüht, liberale politische Systeme, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft in diesen Gebieten einzuführen.“

Seit dem NATO-Krieg 1999 wird der Kosovo, obwohl formal weiterhin integraler Bestandteil Jugoslawiens bzw. seines Rechtsnachfolgers Serbien, von den Vereinten Nationen verwaltet. Die hiermit beauftragte Besatzungsbehörde UNMIK verfügt dabei über nahezu uneingeschränkte Vollmachten, die sie dazu nutzte, den Kosovo entlang neoliberaler Vorgaben „aufzubauen“. Nachdem lange unklar war, wie mit der Provinz weiter verfahren werden sollte, übergab der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Martti Ahtisaari, Belgrad und Pristina im Februar 2007 den von ihm erarbeiteten Vorschlag zur „Lösung“ der Kosovo-Statusfrage. Schon früh zeichnete sich dabei die paradoxe Situation ab, dass der Ahtisaari-Bericht nicht nur von serbischer, sondern auch von großen Teilen der kosovo-albanischen Seite abgelehnt wird, er jedoch gleichzeitig von den westlichen Staaten – der selbst ernannten „internationalen Gemeinschaft“ – volle Rückendeckung erhält: „Deutschland unterstützt den Ahtisaari-Plan hundertprozentig“, betonte schon frühzeitig der deutsche UNO-Botschafter Thomas Matussek. Folgerichtig wurde der Ahtisaari-Bericht am 26. März dem UN-Sicherheitsrat mit dem Ziel einer baldestmöglichen Verabschiedung vorgelegt, eine endgültige Entscheidung soll am 10. Dezember 2007 erfolgen.

Obwohl der eigentliche Bericht das Wort „Unabhängigkeit“ noch bewusst vermied, sieht Ahtisaaris Vorschlag dennoch de facto die Herauslösung des Kosovo aus Serbien vor, wie dieser schließlich auch in seinen Ende März dem UN-Sicherheitsrat übergebenen Empfehlungen offen aussprach: „Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die einzige praktikable Lösung für den Kosovo die Unabhängigkeit ist.“ Dies wird aber vom kompletten politischen Spektrum in Serbien kategorisch abgelehnt: So verwehrte sich Ministerpräsident Vojislav Kostunica gegen den „Raub von 15 Prozent serbischen Territoriums.“ Dennoch wird unmissverständlich klar gemacht, dass diese Pläne zur Not auch ohne die Zustimmung Belgrads durchgepeitscht werden.

Doch auch auf albanischer Seite finden Ahtisaaris Vorschläge keineswegs ungeteilte Zustimmung, denn tatsächlich wird der Kosovo hiermit kein souveräner Staat, sondern bleibt weiterhin eine Kolonie, die in Zukunft aber nicht mehr von den Vereinten Nationen, sondern von der Europäischen Union verwaltet wird, wie im ersten Teil dieser Studie beschrieben werden soll. „Unabhängigkeit unter internationaler Überwachung“ nennt sich das Konzept, das de facto bedeutet, dass es einen vollständig souveränen Staat Kosovo, in dem die Bevölkerung über die Geschicke des Landes entscheidet, niemals geben wird. Der zweite Teil beschreibt anschließend, wie die Besatzungsbehörde ihre weit reichenden Kompetenzen für eine umfassende neoliberale Umstrukturierung missbrauchte, die maßgeblich für die katastrophale wirtschaftliche Situation im Land verantwortlich ist. Während sich die serbische Seite kategorisch gegen jegliche Form der Unabhängigkeit des Kosovo – ob mit oder ohne internationale Überwachung – ausspricht, stößt in der kosovo-albanischen Bevölkerung vor allem der anvisierte Kolonialstatus und die neoliberale Zurichtung durch die westlichen Staaten auf immer größeren Widerstand. Deshalb bereiten sich Europäische Union und NATO derzeit auf bewaffnete Auseinandersetzungen mit beiden Konfliktparteien vor, wie in Kapitel drei beschrieben werden soll.

Abschließend soll hier argumentiert werden, dass die eigentliche Tragweite des Ahtisaari-Plans weit über die Region hinausreicht, da mit ihm eine neue „völkerrechtliche Unterklasse“ (Ulrich Preuß) eingeführt werden soll. Denn die offizielle Herauslösung des Kosovos aus Serbien wäre ein völkerrechtlich präzedenzloser Vorgang: Erstmalig würde mit UNO-Plazet die territoriale Integrität und damit Souveränität eines Mitgliedslandes ohne dessen Einverständnis beschnitten, was pikanterweise ohne den völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999 nicht möglich gewesen wäre. Nachdem Russland aber mittlerweile ankündigte, nur einer einvernehmlich mit Belgrad erarbeiteten Lösung zuzustimmen, wird es bis zur festgelegten Deadline am 10. Dezember wohl keine vom Sicherheitsrat formal autorisierte Lösung der Statusfrage geben. Dass Washington und Brüssel deshalb nun offen ankündigten, den Kosovo sogar ohne UN-Zustimmung gegen den Widerstand aus Moskau und Belgrad einseitig anzuerkennen, unterstreicht das Bestreben, Fragen der territorialen Integrität künftig von jeglichem rechtlichen Rahmen zu entkoppeln. Hiermit würde untermauert, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen und somit das Souveränitätsrecht, das schwächeren Staaten bislang wenigstens einen gewissen Schutz vor Willkürakten mächtigerer Länder gewährte, fortan keine Gültigkeit mehr besitzt.

<>Sollte der Ahtisaari-Plan tatsächlich umgesetzt werden, würde mit dem Kosovo darüber hinaus ein völlig neues Gebilde entstehen, weder eigenständig noch integraler Bestandteil eines anderen Staates, sondern eine dauerhaft von der Europäischen Union kontrollierte Kolonie. „Der Kosovo-Plan der UN würde, wenn er sich umsetzen ließe, einen Staat minderer Souveränität schaffen und damit das Ende des UN-Systems souveräner Gleichheit aller Staaten einläuten.“[6] Hiermit wird die wenigstens auf dem Papier existierende formale Gleichheit zwischen den Staaten aufgekündigt und durch klare hierarchische Strukturen ersetzt.

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EU-Battlegroups mit UN-Mandat – Wie die Vereinten Nationen die europäische Rekolonialisierung Afrikas unterstützen

27. September 2007

Militärmissionen unter mittlerweile fast ausschließlich robustem Mandat der UN haben seit Beginn der 90er Jahre massiv zugenommen. Insbesondere seit 2003 bemüht sich die EU als Regionalorganisation um eine enge Zusammenarbeit mit der UN, was häufig als „Bekenntnis zum Multilateralismus“ interpretiert wird. Betrachtet man diese Zusammenarbeit jedoch näher, so wird deutlich, dass es der EU um einen größtmöglichen Einfluss auf die UN geht und sie diesen nutzen will, um sich ihre Weltordnungspolitik legitimieren zu lassen.

Dies wird auch im Verteidigungsweißbuch der deutschen Bundesregierung, welche die Kooperation mit der UN wesentlich vorangetrieben hat, deutlich. Der zentrale Satz im knappen Unterkapitel „2.5. Vereinte Nationen“ lautet: „Denn gerade, wenn es zum Einsatz militärischer Gewalt kommt, ist die völkerrechtliche Legitimation entscheidend“.1 Im Entwurf kam dieser Gedanke noch deutlicher zum Vorschein. Dort hieß es: „Die einzigartige Bedeutung der Vereinten Nationen besteht darin, einen notwendig werdenden Einsatz militärischer Gewalt mit der völkerrechtlichen Legitimität zu versehen.“2 Im Rahmen der EU-Einsätze in der Demokratischen Republik Congo (DRC) hat sich eine enge Kooperation zwischen EU und UN herausgebildet, auf die auch bei den anstehenden Militärmissionen auf dem afrikanischen Kontinent zurückgegriffen wird.

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Jürgen Wagner: Der Russisch-Europäische Erdgaskrieg: NABUCCO, die Gas-OPEC und die Konturen des Neuen Kalten Krieges

3. August 2007

Die europäisch-russischen Beziehungen befinden sich im freien Fall, ein „Verdienst“ der seit einigen Jahren immer dezidierter anti-russisch agierenden Politik der Europäischen Union, wie hier argumentiert werden soll. Zwar wurde die EU-Politik bis etwa Ende 2003 von Befürwortern einer engen Partnerschaft dominiert, die gemeinsam mit Russland ein (militärisches) Gegengewicht zu den USA bilden wollten – die viel beschworene Achse „Paris-Berlin-Moskau“ -, doch auch sie hatten nie die Absicht, Russland als gleichberechtigten Partner zu akzeptieren.

Diese Haltung musste aber zwangsläufig früher oder später mit den Ambitionen Russlands unter Wladimir Putin kollidieren, dessen vorrangiges Ziel es ist, den machtpolitischen Erosionsprozess der 90er Jahre rückgängig zu machen und Russlands Wiederaufstieg in die Riege der Weltmächte zu erreichen.

Da auch die Europäische Union dieses Bestreben aktiv torpediert, stellt dies den eigentlichen Grund für die sich verschärfenden Auseinandersetzungen dar, nicht etwa, wie von offizieller Seite betont wird, die Kritik am autoritären Führungsstil des russischen Präsidenten. Weil Brüssel hiermit weit gehend auf Washingtons Linie eingeschwenkt ist, wurde so eine Eskalationsspirale in Gang gesetzt, die im schlimmsten Fall in einen Neuen Kalten Krieg münden könnte, dessen erste Konturen bereits heute zutage treten. Hierbei stehen sich erneut die Europäischen Union als (Junior)Partner der USA und Russland gegenüber, das seinerseits neue Verbündete sucht und findet.

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Ali Fathollah-Nejad: Wie die EU-Diplomatie den Weg für einen US-Angriff auf Iran ebnet

3. August 2007

Im brisanten Sommer 2006, als die USA im israelischen Bombenhagel auf die zivilen Einrichtungen des Libanon die „Geburtswehen“ der Neuordnung des Broader Middle East zu erhorchen glaubten und der „Atomstreit“ zwischen dem Westen und Iran in eine unheilvolle Eskalationsspirale gelangt war, empfing man in Teheran hohen Besuch. Der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer reiste in jene Hauptstadt, die nun als „Zentralbänker des internationalen Terrorismus“ das Böse in der Welt in Gestalt einer islamo-faschistischen Nuklearbedrohung zu monopolisieren schien. Als einer der vormaligen Hauptfiguren des Verhandlungsprozesses zwischen den EU3 (Großbritannien, Frankreich und Deutschland) und Iran über das Atomprogramm des Letzteren, sprach Fischer am 1. August am Iranian Center for Strategic Research zum Stand und zur Zukunft europäischiranischer Beziehungen. Der Tenor seiner Rede war: Entweder ihr Iraner realisiert die unmittelbare Gefahr, der ihr euch als nächster Station auf der US-amerikanischen ‚Regime-Change‘- Agenda gegenüberseht, und akzeptiert ohne Wenn und Aber das auf dem Tisch liegende Angebot der fünf Ständigen Sicherheitsratsmitglieder plus Deutschlands (P5+1) oder aber der Anbruch einer großen Katastrophe wird nicht abzuwenden sein. Was dem angehenden Princeton-Gastprofessor jedoch ganz besonders am Herzen zu liegen schien, war die Betonung, dass die iranischen Zuhörer doch bitte den „Boten nicht die Schuld für die Botschaft“ geben sollten („[…] and, please, don’t blame the messenger for the message“). Kann jedoch der Eindruck, den Fischer von der europäischen Position als einer im Grunde genommen gutmütigen Verhandlungspartei erwecken wollte, der Analyse der europäischen Verhandlungsstrategie gegenüber Teheran Stand halten?

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Christoph Marischka: Bosnien – EU-Mitgliedschft per Dekret

3. August 2007

Michael Ehrke von der Friedrich-Ebert-Stiftung bezeichnet das internationale Engagement in Bosnien und Herzegowina (BiH) als „Pilotprojekt der Weltinnenpolitik“ bzw. „als eine Art Pilotprojekt internationaler Ordnungspolitik“. Tatsächlich ist BiH das ambitionierteste und früheste Experiment des so genannten internationalen State Building der Gegenwart, in welchem nicht nur die UN ein neues Aufgabenfeld gefunden haben, sondern das auch für andere internationale Ordnungsmächte Kernaufgabe ihrer (militärischen) Außenpolitik geworden ist. Dafür spricht nicht nur die Höhe der finanziellen Aufwendungen pro Kopf der „internationalen Gemeinschaft“, die in BiH mit 697 US$ internationale Spitze und beispielsweise fast zwölf Mal so hoch sind, wie in Afghanistan (57 US$). Zudem umfasste die IFOR, die nach dem Ende der unmittelbaren Kampfhandlungen nach Bosnien entsandt wurde, 54.000 internationale Soldaten in einem Land, das mit 50.000 qkm gerade von 4.5 Mio. Menschen bewohnt wird. Diese Dichte an Einsatzkräften entspräche beispielsweise in der Demokratischen Republik Congo bereits auf die Einwohnerzahl umgerechnet etwa 850.000, in der Fläche sogar knapp 2.5 Mio. Soldaten. In Afghanistan leben immerhin siebenmal so viele Menschen auf einer 13 mal größeren Fläche als in BiH. Auch die fast unüberblickbare Literatur, welche Aspekte des State- und Nation Buildings sowie die Sicherheitssektorreform in BiH behandelt und abschließend fast ausnahmslos Lehren für künftige Einsätze formuliert, spricht dafür, dass es sich bei BiH um ein Laboratorium dessen handelt, was wir als neuen Kolonialismus begreifen sollten.

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Tobias Pflüger/ Martin Hantke: Militarisierung der EU – Das Programm zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik der im Januar 2007 beginnenden deutschen Ratspräsidentschaft

3. August 2007

Nach der finnischen Ratspräsidentschaft wird Deutschland am 1. Januar 2007 für ein halbes Jahr den Ratsvorsitz übernehmen. Danach folgen bis Dezember 2008 weiter im halbjährlichen Turnus Portugal, Slowenien und Frankreich. Für die Funktionsweise der Europäischen Union ist die Ratspräsidentschaft von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Der Vorsitz des Rates spielt eine wesentliche Rolle bei der Organisation der Arbeiten der Institution des Rates (3), insbesondere als Impulsgeber im legislativen und politischen Entscheidungsprozess. Ihm obliegt die Einberufung, Vorbereitung und Leitung aller Sitzungen; er führt auch den Vorsitz in den zahlreichen Arbeitsgruppen und arbeitet Kompromisse aus. Das heißt: Ab Januar 2007 wird die Bundesregierung wesentlich über die Agenda der Europäischen Union bestimmen.

Das ist auch für die Außenund Militärpolitik mit entscheidend, denn der Rat legt die Grundsätze der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) fest und setzt diese um. Der Rat selbst besteht neben dem Ratssekretariat aus den Ministern der Mitgliedstaaten, die im Rahmen des Rates der Europäischen Union tagen. Je nach den Themenbereichen, die auf der Tagesordnung stehen, ist jedes Land mit seinen zuständigen Fachministern vertreten (Auswärtige Angelegenheiten, Justiz und Inneres, Finanzen, Soziales, Verkehr, Landwirtschaft usw.)

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Claudia Haydt: Zivilisierung des Militärischen oder Militarisierung des Zivilen?

3. August 2007

Die Verknüpfung von zivilen und militärischen Fähigkeiten erscheint als die neue Zauberformel für effektive Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union genauso wie der deutschen Regierung. Dass die häufige Einplanung ziviler Komponenten für Krisen- und Kriegssituationen leider nicht zwangsläufi g zu einer »Zivilisierung des Militärischen« führt, sondern vielmehr die Gefahr in sich birgt, Spielräume für zivile Alternativen weitgehend einzuschränken, soll im Folgenden erläutert werden. Die Auflösung der Grenzen zwischen zivil einerseits und militärisch andererseits, die »Entgrenzung des Militärischen«, zeigt sich innen- und außenpolitisch, wobei »innen« und »außen« ebenfalls fließende Kategorien sind. Im Kontext einer globalen Neuaushandlung von Macht- und Marktpositionen ergänzen sich neoliberale Außenhandelspolitik und neoimperiale Militärstrategien. Spannungen, die aus dem Sozialabbau im Inneren resultieren, drohen hinter einem »Sicherheitsdiskurs« zu verschwinden, der sowohl Repression im Innern als auch Abschottung nach außen legitimiert.

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Kai Ehlers: Reicht Europa bis nach Kasachstan?

3. August 2007

Die Erweiterung der Europäischen Union endet nicht an der polnischen, tschechischen oder ungarischen Ostgrenze. Aus dem Europa der 25, das unlängst begründet wurde, ohne bisher stabilisiert zu sein, soll, wenn es nach den Planern in Brüssel geht, in nicht allzu ferner Zeit bereits ein Europa der 30 werden. Türkei, Ukraine, Georgien, Aserbaidschan… die Liste der Kandidaten scheint unbegrenzt.

Mit der Erweiterung der Union spitzt sich jedoch auch die Frage ihrer strategischen Perspektive zu: In der Debatte um die Einführung einer europäischen Verfassung wird jetzt darum gestritten, ob Europa, wie bisher postuliert, eine plurale Wertegemeinschaft bleiben oder sich als imperialer Block formieren soll, der als Groß-Europa endlich wahr macht, was bisher in der Geschichte nicht gelang, nämlich Eurasien, den Kaukasus, Zentralasien und Russland von Europa aus zu beherrschen.

Der tschechische Präsident Václav Klaus polarisierte diese Auseinandersetzung in einem Beitrag,1 in dem er sich gegen die Einführung einer Verfassung für die Europäische Union wandte. Zwar sprach auch er sich für eine »größtmögliche Erweiterung« aus: »Türkei, Marokko, Ukraine, Kasachstan – je mehr, desto besser.« Nur Russland sei »zu groß«, schränkte er ein, und er glaube auch, dass die Russen kein Interesse hätten, einer erweiterten EU anzugehören. Gleichzeitig unterschied er jedoch »klar zwischen Integration und Vereinheitlichung, Unifikation.« Die Erweiterung bringe Probleme, räumte er ein, aber die »alte sozialistische Idee, die wir aus der Erfahrung unserer Länder kennen,« nämlich, »dass umso mehr Regulierung von oben nötig ist, je größer und komplizierter das System ist«, sei die falsche Lösung der mit der Erweiterung verbundenen Probleme. Er sehe die Gefahr, dass sich die EU von Demokratie und Freiheit löse, wenn sie nicht mehr an die Existenz von einer oder mehrerer Nationen, also ihre pluralistische Basis gebunden sei. Schon jetzt sei die EU eine postdemokratische Institution ohne »Demos«; die Ausweitung der Kompetenzen aber könne die Abwesenheit des Demos nicht kompensieren. »Normale Leute« müssten sich gegen solche Pläne der »Europäisten« wenden.

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Stephan Heidbrink: Die EU-Rüstungsexportpolitik

3. August 2007

Auf der europäischen Ebene hat sich ein stabiler (Eliten-)Konsens für eine forcierte Rüstungsintegration herausgebildet. Militärs, Rüstungswirtschaft, verschiedene europäische wie nationale Think-Tanks, die nationalen Regierungen und die europäischen Institutionen teilen das Interesse an einer gemeinsamen rüstungsindustriellen Basis. Innerhalb kürzester Zeit wurde eine gemeinsame Rüstungsagentur ins Leben gerufen und eine Vereinheitlichung der verschiedenen Exportpolitiken durch den so genannten Verhaltenskodex (Code of conduct on Arms Exports) eingeleitet. Zusätzlich wurde im Rahmen des LoI-Prozesses (Letter of Intent), mit der »Absichtserklärung über Maßnahmen zur Erleichterung der Umstrukturierung der europäischen Rüstungsindustrie«, ein Rahmenwerk etabliert, über das grenzüberschreitende Fusionen und Zusammenarbeit erleichtert werden sollen.

Es scheint offensichtlich, dass eine Beschränkung der Exportmöglichkeiten der Waffenproduzenten durch (quasi-)staatliche Verbote nicht in deren Interesse liegt. Die Implementierung des Verhaltenskodex wird daher häufig als vorbildlicher Schritt zur Kontrolle des internationalen Waffenhandels gesehen. Im Folgenden wird argumentiert, dass bei genauerer Betrachtung dieser positive Bezug stark relativiert werden muss.

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Christoph Marischka: Kolonialismus im Namen der menschlichen Sicherheit

3. August 2007

Bei allen Kriegen und militärischen Einsätzen tritt das gleiche Phänomen auf: Während sich einige trauen, offen die Interessen hinter den Kriegen zu benennen und kein Problem damit haben, das Militär als Mittel zur Wahrnehmung politischer wie ökonomischer Interessen anzusehen, wird zugleich auch jeder Krieg offi ziell als Verteidigung oder zumindest Prävention geführt: Wenn jetzt nicht eingegriffen wird, setzen wir unser Land einer Bedrohung aus. Zuletzt wird dann auch noch jeder Krieg aus vermeintlich moralischen Gründen geführt: Um ein »neues Auschwitz« zu verhindern, die Frauen in Afghanistan von der Herrschaft der Taliban oder das irakische Volk von der des Baath-Regimes zu befreien. Begründungen militärischer Einsätze mit Interessen jenseits von »Sicherheit« im engeren Sinne – territorialer Verteidigung –, sind von Seiten demokratisch gewählter Regierungsvertreter selten zu hören, und sie reichen nicht aus, um die nötige öffentliche Unterstützung für den Einsatz herzustellen. Sie kommen im Wesentlichen aus Think-Tanks und Beraterkreisen und sind in den USA noch populärer als in Europa. Offiziell werden Armeen nicht zur Interessendurchsetzung aufgestellt, sondern zur Verteidigung. Sie ist der Grund für eine Intervention, der auf die größte Zustimmung trifft, wenn die Bedrohung als real empfunden wird. Strucks Äußerung, »Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt«, ist jedoch heftig kritisiert worden. Sie wird erst wahr, wenn der Begriff Sicherheit so weit ausgedehnt wird, dass er auch im Rest der Welt Interventionen rechtfertigen könnte.

Genau dies geschah zwar in den Strategiepapieren der Global Players während der letzten fünf Jahre, hatte aber nur beschränkt Einfluss auf die Wahrnehmung von Bedrohungen durch die Bevölkerungen. Hier steht vor allem die EU vor einem Problem. Während die USA vermutlich tatsächlich Zielscheibe des internationalen Terrorismus sein dürften und halbwegs glaubwürdig eine Bedrohung durch Atomwaffen konstruieren können, sehen sich die Gesellschaften in Europa kaum einer Bedrohung von außen ausgesetzt. Strucks Argument fand in Deutschland wenig Glauben. Dagegen schaffte es der ehemalige Kriegsgegner Joseph Fischer mit seiner famosen Geschichtsrelativierung, »Ich habe nicht nur ›nie wieder Krieg‹ gelernt, sondern auch ›nie wieder Auschwitz‹«, seine pazifistische Gemeinde und überhaupt weite Teile der deutschen Bevölkerung davon zu überzeugen, dass ein Krieg gegen Jugoslawien geführt werden müsse, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Das Argument einer moralischen Verantwortung flankiert seitdem bei allen militärischen Einsätzen der EU das entgrenzte Sicherheitsinteresse und ist Grundlage des Mythos von der »Friedensmacht Europa«. Hierdurch begegnen wir immer wieder dem Paradox des »gerechten Krieges« bzw. der »humanitären Intervention«.

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André Bank: Kontrollstrategien im zivilen Gewand: Die Nah- und Mittelostpolitik der EU

3. August 2007

Die Europäische Union versteht im Zuge der Ausgestaltung einer eigenständigen Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik ihre unmittelbaren Nachbarregionen als direkte politische Einfl usssphären. Neben Ost(mittel)europa und dem Balkan gilt dies insbesondere für den Nahen und Mittleren Osten, die höchst heterogene Großregion jenseits des Mittelmeeres, die die arabischen Staaten Nordafrikas, der Levante und der Golfregion sowie Israel und den Iran umfasst. Strategische Bedeutung kommt dem Nahen und Mittleren Osten für die EU als wichtiger Absatzmarkt und zentraler Energielieferant zu, schließlich verfügt die Region über die größten Erdöl- und Erdgasvorkommen weltweit. In der Region existieren vor allem aber auch politische Strukturmus ter, die laut Europäischer Sicherheitsstrategie (ESS), dem wichtigsten Dokument gegenwärtiger EU-Außen- und Militärpolitik, als die Hauptbedrohungen europäischer Sicherheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts angesehen werden:

(1) transnationaler Terrorismus,

(2) die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (MVW), insbesondere die Gefahr eines nuklearen Wettrüstens, und

(3) regionale Konflikte, insbesondere der israelisch-palästinensische Kernkonflikt im Nahen Osten.

<> Zugespitzt formuliert liest sich die Bedrohungsanalyse der ESS wie eine Zustandsbeschreibung bestimmter Aspekte der gegenwärtigen Politik im Nahen und Mittleren Osten, ohne dieser jedoch eine adäquate Ursachenanalyse zugrunde zu legen. Um die wirtschafts- und energiepolitischen Interessen der EU zu gewährleisten und vor allem potenzielle Spill-over-Effekte von Terrorismus, die Verbreitung von MVW und die Ausweitung regionaler Konfl ikte zu verhindern, wird in der ESS empfohlen, darauf hinzuarbeiten, dass »an den Mittelmeergrenzen ein Ring verantwortungsvoll regierter Staaten entsteht, mit denen wir enge, auf Zusammenarbeit gegründete Beziehungen pflegen können«.

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Lutz Brangsch: Zwei Seiten einer Medaille: Sozialabbau im Inneren und Militarisierung nach außen

3. August 2007

Innerhalb der Länder »des Nordens« scheinen sich die Spielräume für die Lösung sozialer Probleme und Konflikte verengt zu haben. Die Gewerkschaften konnten nicht rechtzeitig passende Antworten auf die Veränderungen der mit dem technologischen Fortschritt verbundenen Veränderungen von Machtverhältnissen und Interessenkonstellationen in den Unternehmen finden und sind in wachsendem Maße geschwächt. Für Deutschland kommt verschärfend hinzu, dass sie sich selbst immer noch weitgehend in das traditionelle Machtspiel zwischen SPD und Union eingebunden und diesem Gleichgewicht verpflichtet fühlen, was vor dem Hintergrund der Neoliberalisierung der sozialdemokratischen Konzepte zunehmend krisenhafte Momente in dieses Verhältnis bringt. Bedeutet nun die Aufkündigung des sozialstaatlichen Kompromisses an sich schon eine Zuspitzung von Widersprüchen, so werden diese durch die Schwächung von diesen Kompromiss vermittelnden Institutionen (wie eben der Gewerkschaften) weiter verschärft. Diese Verschärfung wird billigend in Kauf genommen. Dies illustrierte bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre der Zukunftsbericht der Freistaatenkommission Bayern/Sachsen. Bezugnehmend auf die sozialen Folgen der von den AutorInnen des Berichtes befürworteten »defensiven Niedriglohnstrategie« heißt es dort: »Diese insgesamt positiven Wirkungen gehen jedoch einher mit wachsender materieller und immaterieller Ungleichheit. Wird das durch die Sozialhilfe definierte Existenzminimum spürbar gesenkt, verändern sich die Erscheinungsformen von Armut. In den Städten können Armenviertel entstehen, der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung von Bevölkerungsgruppen können sinken, die Kriminalität kann steigen. Auch hier sind die Erfahrungen, die in den USA und anderen Ländern gesammelt werden können, recht eindeutig. […] Die Nachteile der defensiven Niedriglohnstrategie sind damit offenkundig. Dennoch muss auch sie verfolgt werden, solange die Strategie der Erneuerung hin zur unternehmerischen Wissensgesellschaft noch nicht hinreichend wirksam geworden ist. Bis dahin müssen sich die Politik, aber auch die Gesellschaft insgesamt auf schmalem Grat bewegen. Einerseits darf die soziale Ungleichheit nicht die gesellschaftliche Stabilität gefährden. Andererseits darf der notwendige und wünschenswerte Wandel der Gesellschaft nicht behindert werden. Wenn sich dadurch die Einkommenssituation von Bevölkerungsteilen verschlechtert, ist dies die Folge der bislang unzulänglichen Anpassung der Wirtschaft, vor allem aber der Gesellschaft an die wissens- und kapitalintensive Produktionsweise unter Bedingungen der Globalisierung. Diese Anpassung ist unvermeidlich, um auch künftig breiteste Bevölkerungsschichten an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilhaben zu lassen.«

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Arno Neuber: „Wir empfehlen Rüstungsaktien“

3. August 2007

»Rüstungssektor schlägt sich wacker. Europas Verteidigungsaktien sind heimliche Stars«, titelte »Die Welt« am 10. Mai 2005. »Börsenlegende Jim Rogers hält seit langem nicht mehr viel von Aktien und setzt statt dessen auf Rohstoffe«, erfährt die interessierte Leserschaft. »Doch wenn das Gespräch auf europäische Verteidigungstitel kommt, beginnen seine Augen zu leuchten.« Zwar seien die Margen im Vergleich zur US-amerikanischen Konkurrenz noch ausbaufähig, dennoch »konnten die Papiere von BAE Systems, Großbritanniens Nummer eins, ihre Notierung in den vergangenen zwei Jahren verdoppeln.

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Die Anteilscheine des französischen Verteidigungskonzerns Thales legten immerhin rund 50% zu. Den Vogel abgeschossen haben jedoch die Titel des MDax-Werts Rheinmetall (bekannt für den Fuchs-Spürpanzer).« Das deutsche Systemhaus für gepanzerte Fahrzeuge hatte in den letzten drei Jahren seinen Aktienkurs schlicht verdreifacht. Der Umbau der Armeen in den EUStaaten zu Interventionstruppen, die Beteiligung am so genannten Antiterror- Krieg, der Versuch, immer häufiger per militärischer »Machtprojektion« die Rolle als »global player« zu besetzen und am Kampf um Rohstoffe, Einflusszonen und Absatzgebiete teilzunehmen, verspricht auch weiterhin glänzende Geschäfte für die Kriegswaffenproduzenten.

Beim EUropäischen Vorzeige- Rüstungsgiganten EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) verwies man im Frühjahr 2005 stolz auf das zum fünften Mal in Folge übertroffene Finanzziel. Mit 2,4 Mrd. Euro lag der Gewinn vor Steuern und Zinsen (EBIT) 2004 um 58% über dem Vorjahr. Der Umsatz in der Rüstungssparte nahm von 2000 bis 2004 um 54% auf 7,7 Mrd. Euro zu. »Die EADS wurde mit dem Ziel gegründet, der weltweit führende Luft- und Raumfahrtkonzern zu werden – und wir sind auf dem besten Wege dorthin«, erklärte Philippe Camus, einer der beiden Konzernchefs, angriffslustig. Dazu soll vor allem der Rüstungsbereich ausgebaut werden.

Seit 2003 ist die EADS-Tochter Airbus dank jahrzehntelanger staatlicher Unterstützung weltweit die Nummer eins im Geschäft mit zivilen Passagierfl ugzeugen. Jetzt will man auch im Waffen- und Militärgeschäft zur US-Konkurrenz aufschließen. Für das Jahr 2005 rechnet der Konzernvorstand mit einem Umsatzanstieg im »Verteidigungsgeschäft« um zehn Prozent. Der Auftragsbestand in diesem Geschäftszweig wuchs 2004 auf 49,1 Mrd. Euro an.


Hannes Hofbauer: Die Balkanpolitik der Europäischen Union

3. August 2007

Die Römer nannten ihn Haemus, die Osmanen Balkan. Die Rede ist von der im Südosten Europas gelegenen Gebirgskette und den sie umgebenden Ländern. Auch wenn die Osmanen längst aus der Region verschwunden sind, den Namen für Bergkette und Halbinsel haben sie zurückgelassen. Balkan heißt auf türkisch so viel wie »Gebirge«. Geographisch gehören zur Balkanhalbinsel die südlich von Donau und Save gelegenen Regionen, die von drei Meeren – dem Schwarzen Meer, der Ägäis und der Adria – eingeschlossen sind. Als Staatsgebilde befi nden sich demnach aktuell Teile Kroatiens, Serbien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Makedonien, Albanien, Bulgarien, Griechenland, der Dobrudscha genannte Landstrich Rumäniens und das europäische Istanbul auf dieser Halbinsel.

Im Neusprech der EUropäischen Bürokratie ist die Bezeichnung »Balkan« allerdings verpönt, negative Assoziationen an die jüngere kriegerische Vergangenheit sollen mithilfe einer Tabuisierung des Begriffs aus den individuellen und kollektiven Gedächtnissen gestrichen werden. Deshalb wird von Brüssel ausgehend bis hinein in die sozialwissenschaftliche Forschung neuerdings von »Südosteuropa« gesprochen, wennvon der Balkanhalbinsel die Rede ist.

Die Wirklichkeit zeigt sich von solch terminologischer Spitzfi ndigkeit indes wenig beeindruckt. Dies umso weniger, als die aktuelle Politik der Europäischen Union an koloniale Traditionen, wie sie von der Habsburgermonarchie praktiziert worden waren, anknüpft, um die gesamte Region den wirtschaftlichen und (geo)politischen Interessen westeuropäischer Eliten gefügig zu machen. Dass dies auf mancherlei Widersprüche sowohl in den jeweiligen Gesellschaften als auch bei der Großmacht USA stößt, gehört bereits zur Tagespolitik der in viele staatliche und proto- oder post-staatliche Einheiten zersplitterten Halbinsel.

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Johannes Plotzki: Die EU im Wettlauf um die Märkte Lateinamerikas

3. August 2007

Im Wettrennen um neue biregionale und multilaterale Freihandelsabkommen, das sich die USA und die Europäische Union weltweit liefern, hat sich die EU vorübergehend selbst ins Abseits gestellt. Ein für die europäisch-lateinamerikanischen Handelsbeziehungen besonders wichtiges Klassenziel wurde trotz anderslautendem Fahrplan vorerst nicht erreicht: der Abschluss des EUMERCOSUR-Abkommens. Der auf dem 3. EU-Lateinamerika-Gipfel Ende Mai 2004 im mexikanischen Guadalajara erstellte Terminplan sah vor, im Oktober 2004 die angestrebte »Strategische Partnerschaft« zwischen Lateinamerika und der EU durch den Abschluss des EU-MERCOSUR-Abkommens besiegelt zu haben. Auf diese Weise erhoffte sich die EU, noch vor der nächsten Verhandlungsrunde des maßgeblich von den USA vorangetriebenen Gesamtamerikanischen Freihandelsabkommens Free Trade Area of the Americas (FTAA) eigene Fakten geschaffen zu haben. Ziel dabei ist die schrittweise Einführung einer gemeinsamen Freihandelszone zwischen der EU und den MERCOSUR-Ländern. Gewinner wäre in diesem Falle die europäische Exportwirtschaft, allen voran spanische und deutsche Unternehmen.

Nach dem Scheitern der geplanten Abschlussrunde im Oktober 2004 in Lissabon wurden die Verhandlungen vorläufig eingestellt, da es nach EU-Angaben seinerzeit keine Möglichkeit gab, sich mit den MERCOSUR-Ländern auf das geplante Freihandelsabkommen zu verständigen. Laut EU-Kommission haben die MERCOSUR-Staaten keine zufrieden stellenden Angebote für die Liberalisierung von Industriegütern, des Telekommunikationssektors und des öffentlichen Auftragswesens gemacht. Nach einjähriger Verhandlungspause gab es erst im September 2005 wieder ein offizielles Treffen.

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Andrea Anton: Projekt Russland – Wie sich die EU nach Osten erstreckt

2. August 2007

Die diplomatischen Beziehungen und der Ausbau der staatlichen wie auch privatwirtschaftlichen Netzwerke mit den so genannten Anrainer-Staaten der EU (»Wider Europe«) sind ein integraler Bestandteil der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Diese »neue Nachbarschaftspolitik« dient dazu, das »Projekt Europa« zu erweitern, dessen strategische Grundlage wie auch zentrale ökonomische, politische und normative Ideen von der Bertelsmanngruppe folgendermaßen formuliert wurden: »Die Integration Europas hatte von Beginn an stets mehr im Sinn als die reine Maximierung des Nutzens ihrer Mitglieder. Die Europäische Union verbindet wirtschaftlichen Aufschwung und politische Stabilität mit Strukturen des Ausgleichs der Interessen aller Mitglieder. Integration bedeutet Teilnahme an und in einer Schicksalsgemeinschaft – die Europäer binden zunehmend ihre wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse, Interessen und Ziele und damit auch ihre Zukunft aneinander.«

Ziel ist dabei die Bildung eines gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Raumes, der auch die neuen Nachbarstaaten, insbesondere Russland, umfasst und die ordnungspolitischen Prioritäten der Europäischen Union widerspiegelt. Da diese Erweiterung, wenn überhaupt, als ein selbstverständlicher, den Bedürfnissen aller Beteiligten entsprechender Prozess dargestellt wird, soll hier kritisch nach geopolitischen und ökonomischen Interessen gefragt sowie auf deren Verbindung zu militärischen Aspekten eingegangen werden. Neben der Schaffung eines neoliberalen Wirtschaftsraumes wird auch die »Aussöhnung« mit der Geschichte betrieben. Die Frage nach der Kontinuität der nationalsozialistischen aggressiven Siedlungspolitik und Ausweitung auf den Lebensraum im Osten ist nicht Thema dieser Arbeit, muss aber mitgedacht werden.

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Uli Cremer: Kampf der Giganten? Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen

2. August 2007

Der 3. Golfkrieg 2003 wurde vielfach als tiefer Einschnitt in den transatlantischen Beziehungen wahrgenommen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Führungsmächten Frankreich und Deutschland einerseits sowie den USA andererseits endeten mit einem US-Alleingang. Washington war nicht bereit, sich mit den Auffassungen der beiden EU-Mächte zu arrangieren. Paris und Berlin wollten sich wiederum der US-Position nicht unterordnen und hielten sich aus den direkten Kriegshandlungen im Irak heraus. Die Frage ist nun, inwieweit die mediale Darstellung materielle Substanz hat(te), insbesondere angesichts der umfangreichen Unterstützung, die von deutscher Seite aus für diesen Krieg geleistet wurde.

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Andreas Wehr: Wer regiert in Europa? Die neue Hegemonialordnung des Europäischen Verfassungsvertrages

2. August 2007

<>Der heutige Sozialstaat »sei erkämpft gegen den nationalen Kapitalismus. Aber den gibt es nicht mehr.« So stellte es Franz Müntefering auf dem SPD-Sonderparteitag am 21. März 2004 dar. Es gehört zu den gängigen Argumentationsmustern neoliberaler Politik, die ökonomischen und politischen Entscheidungszentren im Nirgendwo der Globalisierung verschwinden zu lassen, um damit jegliche Gegenwehr für sinnlos, da ohne Adressat, zu erklären. Dies gilt vor allem für die Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union, die aufgrund des komplizierten Zusammenspiels bei der Gesetzgebung von nationalen Regierungen, Europäischer Kommission und in manchen Fällen auch des Europäischen Parlaments als besonders verworren, unübersichtlich und daher kaum beeinflussbar erscheinen.

<>Der Untersuchung der Mechanismen, wie nationale Macht diese transnationalen Strukturen konstituiert, mit deren Hilfe sie wiederum die Reproduktion ihrer jeweiligen nationalen Gesellschaftsordnungen organisiert, absichert und sich in diesem Prozess selbst verändert bzw. verändert wird, kommt demnach zentrale Bedeutung zu. Im Folgenden wird dies an Hand des Vertrags über eine Verfassung für Europa näher beleuchtet. Es soll gezeigt werden, wie die EU mittels dieser Verfassung aus einer staatenbündischen Ordnung in eine Hegemonialordnung übergeführt werden soll, die zukünftig von den großen europäischen Mächten, mit Deutschland im Zentrum, bestimmt wird.

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Tobias Pflüger: Europäische Geopolitik – Die EU, die Türkei und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen

2. August 2007

Die EU will die Türkei aufnehmen, weil damit die vorherrschende neoliberale und neoimperiale Politik der Mitgliedsländer weiter forciert werden kann: Der französische Sozialist Michel Rocard brachte es im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments auf den Punkt: »Lassen Sie uns nicht so viel von Menschenrechten reden, lassen sie uns über das reden, um was es geht: um Geopolitik.« Und auch EU-Kommissar Günter Verheugen sagt, worum es geht: »Der Beitritt der Türkei würde Europa – ob Europa das will oder nicht – zu einem weltpolitischen Akteur ersten Ranges machen. Wir müssten bis dahin in der Tat in der Lage sein, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln, die diesen Namen auch verdient.«

Damit wäre die EU wieder ein ganzes Stück weiter auf ihrem Weg hin zu einer militarisierten Supermacht. Ein Anspruch, der bereits in der Ende 2003 verabschiedeten Europäischen Sicherheitsstrategie klar formuliert wurde: »Als Zusammenschluss von 25 Staaten mit über 450 Millionen Einwohnern, die ein Viertel des Bruttosozialprodukts (BSP) weltweit erwirtschaften, ist die Europäische Union […] zwangsläufig ein globaler Akteur […] Europa muss daher bereit sein, Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt mit zu tragen.«

Nicht zuletzt wegen ihres enormen Militärpotenzials ist die Türkei von großem Interesse (Kommissionspapier S. 10): »Dank ihrer hohen Militärausgaben und ihres großen Streitkräftekontingents ist die Türkei in der Lage, einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheit und Verteidigung der EU zu leisten: Relativ gesehen zählen die türkischen Militärausgaben zu den höchsten aller NATO-Mitglieder und belaufen sich auf 2,59% ihres BIP im Jahr 2004 und ihre Truppenstärke von 793 000 entspricht 27% der Streitkräfte der Europäischen NATO-Mitglieder und 3,9% der türkischen Erwerbsbevölkerung (im Vergleich zu durchschnittlich 1,7% in den anderen europäischen NATO-Ländern).«

Galt die Türkei jahrzehntelang als einer der engsten amerikanischen Verbündeten, scheint die EU nun darauf zu spekulieren, Washington diesbezüglich abzulösen: »Die Türkei pflegt starke wirtschaftliche, politische und militärische Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Sowohl die Beziehungen Türkei-USA als auch die zwischen der EU und den Vereinigten Staaten standen nach dem Irakkrieg auf dem Prüfstand. Die Bedeutung der Türkei für die Vereinigten Staaten hat sich in den letzten 15 Jahren verändert; in der Vergangenheit waren die Vereinigten Staaten auf die militärischen Fähigkeiten und die geostrategische Lage der Türkei angewiesen, heute jedoch schätzen sie mehr ihre Rolle als Stabilitätsfaktor in einer potenziell instabilen Region.« (ebd., S. 9)

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Hannes Hofbauer: Osterweiterung – Hegemoniale Ambitionen der Europäischen Union

2. August 2007

»Die Einigung Europas, die sich in der Geschichte bereits seit längerem abzeichnet, ist eine zwangsläufi ge Entwicklung. […] Europa ist zu klein geworden für sich befehdende und sich gegenseitig absperrende Souveränitäten. […] Die Lösung der europäischen Frage kann nur auf föderativer Basis herbeigeführt werden, indem die europäischen Staaten sich aus freiem, der Einsicht der Notwendigkeit entsprungenen Entschluß zu einer Gemeinschaft souveräner Staaten zusammenschließen. […] Der europäische Staatenbund muß die Gemeinschaft möglichst aller europäischen Staaten sein.« Was so klingt, als ob es aus der Feder eines Brüsseler Bürokraten Anfang der 1990er Jahre geschrieben wäre, der im Angesicht des Zusammenbruchs von RGW und Sowjetunion und im Auftrag der starken EG-Mitgliedsländer die Integration vorbereitet, ist in Wahrheit über 60 Jahre alt. Das Zitat stammt aus dem Jahre 1943 und ist einem Entwurf zu einer Denkschrift des Auswärtigen Amtes über die Schaffung eines »Europäischen Staatenbundes« entnommen. Mitten im Bombenkrieg der Nazis verfasst, zeugt diese Denkschrift vom europäischen Charakter der deutschen Expansionspolitik.

Eine eigene, vom Leiter der Abteilung »Außenhandel« im »Außenpolitischen Amt der NSDAP«, dem Industriellen Werner Daitz, ins Leben gerufene »Zentralstelle für europäische Großraumwirtschaft« befasste sich parallel zum Angriffskrieg der Wehrmacht mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich aus den erwarteten militärischenSiegen ergeben würden.

Wie man sich die Ergebnisse dieses Drangs nach Osten vorstellte, brachte das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Hermann Joseph Abs, am 25. Oktober 1940 bei einem Vortrag des »Deutschen Instituts für Bankwissenschaft und Bankwesen« folgendermaßen zum Ausdruck: »Heute bietet der europäische Raum unserer politischenEinflußsphäre reiche und lohnende Möglichkeiten, um den Rahmen unserer Leistungsfähigkeit zu füllen. Die Aufgaben, die hier der Lösung harren, sind so groß, daß neben uns auch unsere hochentwickelten Nachbarländer ein weites Feld für ihre Kapitalausfuhr finden werden. Man denke nur an eine den Gesamtbedürfnissen des Großraums Rechnung tragende Ausgestaltung des Verkehrswesens.«

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Christoph Marischka: Militarisierte Bevölkerungspolitik – zum Umgang der EU mit Flüchtlingen

2. August 2007

Von den geschätzten 200 Mio. MigrantInnen weltweit werden vom US Committee for Refugees and Immigrants rund 11,5 Mio. im Jahr 2005 als Flüchtlinge und Asylsuchende deklariert. Hinzu kommen noch etwa 21,3 Mio. Internally Displaced Persons (IDPs), also Menschen, die innerhalb ihres Herkunftsstaates auf der Fluchtsind. Von ihnen leben über zehn Mio. in Lagern, 7,7 Mio. für mehr als fünf Jahre. Alleine aus der Demokratischen Republik Kongo, dem Sudan und den angrenzenden Ländern leben heute mindestens 2 Mio. Menschen in Lagern. 1,9 Mio. Afghanen leben gegenwärtig in Iran und Pakistan in Lagern. Lager in und am Rande von Kriegs- und Krisenzonen sind in mehrfacher Hinsicht zu Kristallisationspunkten des aktuellen Kriegsgeschehens geworden. Sie bildeneine Zufl ucht für die Leidtragenden und Verweigerer der Konflikte und in ihnen konzentriert sich das Elend des Krieges und wird für die internationalen Journalisten und Organisationen sichtbar. Doch auch die Milizen sind dort aktiv. Meist als Zivilisten getarnt, nutzen sie Lager als Rückzugsraum und Rekrutierungsbasis, häufig kontrollieren sie die Zugänge und können »Zölle« auf Lieferungen erheben. Bisweilen nutzen sie kleinere Lager, um medienwirksame Massaker zu veranstalten. Die Interessen der Metropolen repräsentieren sich dort ebenfalls. Vor allem die EU finanziert über internationale Organisationen wie das Internationale Rote Kreuz oder das UNHCR den Bau und Unterhalt der Lager, um die Fluchtbewegungen frühestmöglich im großen Maßstab zu kontrollieren. Über die Verteilung von Hilfsgütern wird eine Konzentration der vielen spontanen Flüchtlingstracks auf wenige, kontrollierbare Punkte erreicht, an denen große Menschenmengen gesammelt und am nackten Leben erhalten werden. Ziel ist die »heimatnahe Unterbringung« (Schily) von Flüchtlingen, also das Verhindern einer unkontrollierten Weiterreise, die am Ende in der EU enden könnte. Lager sind insofern die Vorstufe so genannter Regionaler Schutzzonen (Regional Protection Areas, RPA).

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Jürgen Wagner: Neoliberale Geopolitik: Transatlantische Konzepte zur militärischen Absicherung der Globalisierung

2. August 2007

Zwei eng miteinander in Verbindung stehende Phänomene prägen die internationalen Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krieges: Zum einen die fortschreitende Globalisierung in Gestalt einer Ausweitung der neoliberalen  Weltwirtschaftsordnung und zum anderen ein sich beschleunigender Trend zu westlichen Militärinterventionen.

Dieser Artikel soll aufzeigen, dass und inwieweit sich diese beiden Phänomene gegenseitig bedingen. Dabei wird argumentiert, dass die wachsenden Widersprüche neoliberaler Politik sich in Form zunehmender Konflikte in und mit Ländern der Peripherie ausdrücken.

Dies erfordert aus Sicht westlicher »Sicherheitspolitiker« zwingend den Übergang zu einer immer militaristischeren und letztlich offen neokolonialen Politik, da weder die USA noch die Länder der Europäischen Union zu einer grundsätzlichen Beendigung bestehender Ausbeutungsverhältnisse bereit sind. Dies schlägt sich in einer radikalen Transformation westlicher Militärstrukturen nieder, dem augenblicklich sichtbarsten Ausdruck für einen grundlegenden Wandel im »Muster staatsgelenkter Liberalisierung. Die ökonomischen Axiome der Strukturanpassung, der finanzpolitischen Austerität und des Freihandels sind jetzt, so scheint es, um die direkte Anwendung militärischer Gewalt ergänzt worden.« Im Folgenden werden die zentralen Merkmale dieses westlichen Globalisierungsinterventionismus herausgearbeitet, der sich mit dem Begriff »Neoliberale Geopolitik« treffend beschreiben lässt.

Begründet wie auch legitimiert wird diese Politik derzeit über eine verquere, aber Kapitalinteressen äußerst dienliche Sicherheits- und Bedrohungsanalyse, die nicht nur in den USA, sondern auch in Europa den Strategiediskurs dominiert und zynischerweise zusätzlich noch als einzig effektive Form der Armutsbekämpfung verkauft wird. Da hiermit aber lediglich versucht wird, ein System zu stabilisieren, das permanent zur Eskalation von Krisen und Konfl ikten führt, soll aus diesem Grund abschließend eine alternative Sichtweise präsentiert werden, die zum Ziel hat, die gängige sicherheitspolitische Bedrohungsanalyse vom Kopf auf die Füße zu stellen.

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Claudia Haydt/ Tobias Pflüger/ Jürgen Wagner: EUropas verfasste Militarisierung: Verfassung – Sicherheitsstrategie und Defence Paper

2. August 2007

Am 29. Oktober 2004 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union den Entwurf einer gemeinsamen »Verfassung für Europa«. Damit der Vertrag in Kraft tritt, muss er von allen 25 EU-Staaten ratifiziert werden. Nach dem Scheitern der Referenden in Frankreich und in den Niederlanden am 29. Mai bzw. 1. Juni 2005 liegt der Ratifi kationsprozess vorerst auf Eis. Der Verfassungsvertrag sei, wie zwei Wochen nach den Ablehnungen auf dem EU-Gipfel in Brüssel von den Regierenden beispiellos ignorant behauptet wurde, nicht in Frage gestellt. Die auf dem Gipfel ausgegebene Parole sieht vor, dass bis zum ersten Halbjahr 2006 die Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten analysieren sollen, mit welcher Taktik die Bevölkerung ihres Landes am besten zu »überzeugen« sei.2 Darüber hinaus wird zur Zeit versucht, viele seiner Bestimmungen, wie etwa die Rüstungsagentur (seit 2004), trotzdem umzusetzen und so Fakten zu schaffen. Unabhängig davon, ob der Vertrag schlussendlich ratifiziert wird, verdeutlicht eine Analyse seiner Bestimmungen zur Außen- und Sicherheitspolitik, wie weit die Militarisierung der Europäischen Union bereits fortgeschritten ist. Ein vollständiges Bild ergibt sich jedoch erst, wenn auch die beiden weiteren zentralen Dokumente, mit denen dieser Militarisierungsprozess derzeit geplant und legitimiert wird, näher betrachtet werden: die Europäische Sicherheitsstrategie und das European Defence Paper.

Zusammengenommen bestätigen sie den Verdacht, dass die Europäische Union zunehmend zu einem militarisierten und aggressiv-expansionistischen Akteur geworden ist, für den Krieg als Mittel der Politik inzwischen die Normalität darstellt.

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Stephan Heidbrink: Geschichtlicher Abriss der europäischen Integration

2. August 2007

Die europäische Integration seit den 1950er Jahren ist ein komplexer Prozess, der sich grob in vier Phasen unterteilen lässt: Eine Gründungsphase zwischen 1947 und Mitte der 1950er Jahre, eine Konsolidierungsphase bis zum Beginn der 70er, Krisen- bzw. Stagnationserscheinungen ab 1973, und seit Mitte der 1980er Jahre erleben wir einen neuen Integrationsschub. Die europäische Integration schreitet als ein Prozess ständiger Krisenbewältigung voran, in dem beständig zwischen den ökonomischen Interessen (der Nationalstaaten) einerseits und dem Ringen um politische Positionen andererseits vermittelt wird. Die Idee eines geeinten Europas ist allerdings wesentlich älter. Seit der Herausbildung des modernen Staatensystems gab es verschiedene Initiativen, die auf die Überwindung der zwischenstaatlichen anarchischen Beziehungen zielten. Die meisten blieben jedoch ziemlich wirklichkeitsfern und ohne politische Durchschlagskraft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Hoffnung, durch ein föderales Europa die imperialistische Logik des zwischenstaatlichen Systems zu untergraben.

Diese Hoffnung stützte sich auf eine weitgehend offene geschichtliche Konstellation: Die wirtschaftliche Situation war verheerend und politisch waren die herrschenden Klassen und mit ihnen »ihr« Nationalstaat weitgehend diskreditiert. Die Einbuße der weltpolitischen Bedeutung der westeuropäischen Mächte, die sich nicht zuletzt in der Zunahme und den Erfolgen der antikolonialen Befreiungsbewegungen verdeutlichte, führte zu einer kurzen Hochphase der föderalistischen Ideen. Doch der Krieg hatte eine neue Weltkarte gezeichnet: Wirtschaftlich, politisch und militärisch waren die Vereinigten Staaten die unangefochtene Supermacht, auch wenn sich bereits die Blockkonfrontation abzeichnete. Diese globale Konstellation wirkte sich natürlich auch auf den Prozess der europäischen Integration aus: Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation in Europa – einem dramatischen Rückgang der Produktionskapazitäten, dem nahezu vollständigen Zusammenbruch des innereuropäischen Handels und großen Beschäftigungsproblemen – waren die westeuropäischen Staaten auf die Hilfe der Vereinigten Staaten angewiesen.

Die USA gewährten diese bereitwillig, denn einerseits befanden sie sich in einer wirtschaftlichen Rezession, die aus der Umstellung von Kriegsproduktion auf eine zivile Wirtschaft resultierte und für deren Überwindung Europa in die Lage versetzt werden musste, Exporte aus Amerika finanzieren zu können. Andererseits ermöglichten die Hilfen eine erhebliche Einflussnahme auf den Verlauf der europäischen Integration. Insbesondere die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Anbindung an die Vereinigten Staaten, die Abwehr und Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses sowie die Möglichkeit, die deutsche Spaltung festzuschreiben, standen dabei im Vordergrund.

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Uwe Reinecke: Perspektiven für eine andere Welt eröffnen

2. August 2007

»Eine andere Welt ist möglich!«, lautet das Motto der globalisierungskritischen Bewegung von Attac. Mit dieser selbstbewusst geäußerten Überzeugung treten Menschen in aller Welt der vorherrschenden Politik der Globalisierung und Militarisierung, also dem Kapitalismus, entgegen. Aber gibt es angesichts so vieler schlechter Nachrichten und Rückschritte überhaupt eine Perspektive für eine friedliche Welt? Was kann die für dieses Ziel aktiven Menschen weiterhin motivieren? Drei Schlaglichter sollen kurz Möglichkeiten benennen: Am 14. Juli 1788 glaubte niemand daran, dass genau ein Jahr später Rufe nach »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (Solidarität)« laut durch die Pariser Straßen schallen würden. Die revolutionären Veränderungen in Frankreich erfass ten damals Europa und wirken in der Welt bis heute nach. Die erfreulichen Ergebnisse der Referenden gegen die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden zeigen, dass anhaltender Protest erfolgreich sein kann, auch wenn damit der Verfassungsentwurf nicht zurückgenommen ist und teilweise dessen Inhalte schon umgesetzt werden.
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Perspektiven für eine demokratische und zivile Gesellschaft sehr wohl bestehen. Zunächst gehe ich auf die gegenwärtige Militarisierung in Staat und Gesellschaft ein. Danach werden Alternativen aufgezeigt, und als drittes wird es um den Weg gehen, der zu den Alternativen hinführen kann. Am Schluss folgt eine Bewertung der Chancen auf Umsetzung.

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Christoph Marischka/Jürgen Wagner: Europas Platz an Afrikas Sonne

2. August 2007

Überall ist derzeit zu vernehmen, Afrika dürfe nicht länger am Ende der außenpolitischen To-Do-Liste stehen. So betonte beispielsweise Bundespräsident Horst Köhler im Januar 2005, Europa habe eine »besondere Verpflichtung« gegenüber dem Kontinent.

Auffällig ist, dass diesem Anspruch primär über ein verstärktes militärisches Engagement nachgekommen werden soll, was über mehrere Argumentationslinien begründet wird. Zunächst einmal spielten Rohstoffe für europäische Begehrlichkeiten in Afrika schon immer eine wichtige Rolle. Aufgrund vor allem knapper werdender Ölvorkommen nimmt dieser Aspekt an Bedeutung zu, wie der Staatssekretär im Verteidigungsministerium der großen Koalition, Friedbert Pflüger, unmissverständlich betont: »Weil Europa nach OECD-Angaben zunehmend Energie aus anderen Regionen importieren muss, muss dem afrikanischen Ölreichtum als Potenzial zur Diversifi zierung der Bezugsquellen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.« Zudem hängt die Militarisierung der EU-Afrikapolitik ganz profan mit Konzerninteressen zusammen: »Finnland gehört zu den politisch treibenden Kräften, wenn es um Europas Handlungsoptionen in Afrika geht. Finnland bezieht aus dem Kongo Tantal – der Weltmarktführer Nokia braucht es für seine Handys.« Zudem eröffnet ein verstärktes militärisches Engagement in afrikanischen Konfl ikten die Möglichkeit, den Druck zu neoliberalen Umstrukturierungen der Zielländer zu verstärken.

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Lühr Henken: Die Finanzierung der EU-Militarisierung

2. August 2007

Die 25 Mitgliedstaaten gaben im Jahr 2004 zusammen 211,14 Mrd. US-Dollar für das Militär aus. Das entsprach 187,08 Mrd. Euro (1 Euro = 1,1286 USD/ SIPRI-Wechselkurs 2003). Die Summe liegt demnach sogar erheblich über dem in der Europäischen Sicherheitsstrategie genannten Wert von 160 Mrd. Euro.

Innerhalb der EU-Mitgliedschaft sind die Ausgaben sehr unterschiedlich verteilt: Das obere Fünftel der EU-25, die fünf Mitgliedstaaten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien, steht für fast vier Fünftel aller EU-Militärausgaben (genau für 78,05 Prozent). Die restlichen vier Fünftel der Mitgliedstaaten geben zusammen gut ein Fünftel der Gesamtsumme aus. Die obersten drei Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland (EU-3) vereinigten im Jahr 2004 genau 60,37 Prozent auf sich.

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